12.12.2017 – Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit wollen sich breiter aufstellen und fordern mehr Unterstützung und Entlastung
Am 9. Dezember 2017 haben rund 60 Ehrenamtliche, Geflüchtete und Hauptamtliche aus der rheinland-pfälzischen Flüchtlingsarbeit über die Rolle des Ehrenamts diskutiert. Sie waren sich einig darüber, dass sie viel Wichtiges geleistet haben, nun aber der Zeitpunkt gekommen ist, Freiwilligenarbeit neu zu denken und auf breitere Beine zu stellen.
Gastgeberin der Veranstaltung „Aktiv für Flüchtlinge – Wo stehen wir, wo geht es hin?“ war die landesweite Koordinierungsstelle „Ehrenamtliche Aktivitäten im Flüchtlingsbereich in RLP“. Ende diesen Jahres wird sie ihre Arbeit in Bad Kreuznach beenden, um sie im kommenden Jahr beim neu gegründeten Verein „AK Asyl – Flüchtlingsrat RLP e.V.“ in Mainz wiederaufzunehmen. Katja Benkel, Nina Gartenbach und Christian Grüning ziehen Bilanz: Über dreißig Veranstaltungen und Fortbildungen mit ca. 1300 Teilnehmenden, monatliche Infobriefe und der gut besuchten Webseite www.aktiv-fuer-fluechtlinge-rlp.de mit wichtigen Informationen für die ehrenamtliche Unterstützungsarbeit zählen zu den sichtbaren Ergebnissen.
Nicht sichtbar sind laut Gartenbach Arbeitsbereiche „wie Vernetzung und Austausch, das Wissen um professionelle Ansprechpartner*innen, die unterstützen und begleiten können, wenn Freiwillige an ihre Grenzen stoßen. Es gilt weiterhin: Ehrenamt braucht Hauptamt und umgekehrt.“
„Was haben die Menschen erleiden müssen?“, diese Frage stellte der Arzt und Sozialpädagoge Prof. Dr. med. Gerhard Trabert und beantwortete sie sogleich mit Geschichten von Einzelschicksalen, die er auf seinen Reisen in Krisengebieten selbst miterlebte: „Wir müssen uns wieder besinnen auf die Menschenrechte“ – denn darum geht es letztendlich. Angesichts der Grenzpolitik und rassistischer Gebärden von Parteien sei dies in Vergessenheit geraten. Eine besondere Rolle kommt dabei den freiwilligen Unterstützer*innen in Deutschland zu, meint Trabert. Sie sind mit den leidvollen Geschichten der Geflüchteten konfrontiert und vermitteln der Öffentlichkeit – im Gegensatz zu vielen Medien – ein menschliches Bild von Flüchtlingen. „Diese Aufgabe hat allerdings ihre Schattenseiten, denn das Leid aus erster Hand zu hören, ist nur schwer zu ertragen. Ehrenamtliche brauchen flächendeckend mehr Unterstützung durch psycho-soziale Begleitung“, so Katja Benkel.
Der Großteil der Ehrenamtlichen kann nicht mehr, berichteten Jutta Mader vom Unterstützerkreis Flüchtlinge in Lay sowie Okka Senst, Ehrenamtskoordinatorin bei der Diakonie im Hunsrück, auf dem Podium „Fördern und Fordern“. Es sei mit der Zeit zu viel und belastend geworden. Das bestätigten auch Stimmen aus dem Publikum: „Ehrenamtliche können die anstehenden Arbeiten nicht alleine bewältigen, wir brauchen hauptamtliche Stellen, die bspw. Geflüchtete bei der Arbeitssuche und im Bewerbungsverfahren unterstützen“, so eine Teilnehmerin aus Ingelheim.
Auch Siggi Pick, Sprecher des AK Asyl Rheinland-Pfalz, betonte die Wichtigkeit professioneller Begleitung von Ehrenamtlichen. Rückblickend auf 30 Jahre ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit stellte er fest, dass fehlende Anlaufstellen seit Jahren schon ein Problem in vielen Teilen des strukturschwachen Landes darstellt.
Zur Unterstützung der ehrenamtlichen Arbeit sicherte Dr. Daniel Asche, Leiter der Abteilung Integration und Migration im MFFJIV, weiterhin finanzielle Unterstützung durch das Land zu und appellierte gleichzeitig daran, mit dem Ministerium in den Dialog zu treten, so dass es die Bedarfe der Ehrenamtlichen kennt und darauf reagieren kann. Genau hier sieht er auch die Aufgabe der Koordinierungsstelle: als Schnittstelle zwischen Haupt- und Ehrenamt.
„Ein Ausweg aus dieser Überlastung kann nur darin liegen, ehrenamtliche Unterstützung auf breitere Beine zu stellen“, so Susanne Syren von Aktiv für Flüchtlinge im Kreis Bad Kreuznach, die vorschlägt, nach Anknüpfungspunkten mit der breiteren Zivilgesellschaft außerhalb der entstandenen kleinen „Expertengruppen“ zu suchen, um diese aufzubrechen und zu entlasten.
Breiter Konsens unter den Teilnehmenden war, dass die Arbeit der Freiwilligen sich ändern und politischer werden muss. Es liege an der Basis, Veränderungen anzuregen, so auch Traberts Folgerung und Forderung an das Ehrenamt: Empört Euch! Zustimmung kam sogar aus dem Ministerium – Herr Asche ermunterte alle zum Weitermachen und nicht aufzuhören „unbequem zu sein“.
Schwere Themen wurden verhandelt und doch spürte man durchweg die Motivation der Teilnehmenden, weiterzumachen – jetzt erst recht, da waren sich alle einig, denn nun kommt der wichtigste Teil: Die Integration derer, die bleiben!