21.02.2023: Offener Brief – an die rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten

Das Projekt civi kune RLP hat mit sechs anderen Organisationen einen offenen Brief an die rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten geschickt.
Wir bitten darum, dass der offenen Brief genutzt wird, weitergeleitet wird und damit hoffentlich zahlreich bei den Bundestagsabgeordneten ankommt.
Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.


Offener Brief

an die rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten

Mainz, den 21.02.2023

Öffnung der Grenzübergänge in die syrischen von Erdbeben betroffenen Regionen!

Unbürokratische Aufnahme von Menschen, die von Erdbeben betroffen sind!

Die schweren Erdbeben in der türkisch-syrisch-kurdischen Grenzregion haben unbeschreibliches Leid ausgelöst, die Folgen sind für die Menschen vor Ort verheerend. Die Bilder, die derzeit um die Welt gehen, machen jetzt schon deutlich, dass die Folgen dieser Naturkatastrophe das Leben in dieser Region in den nächsten Jahren erheblich beeinflussen und einschränken werden. Auch wenn das Ausmaß der Katastrophe bislang nur zu erahnen ist, ist eins klar zu erkennen: Ein sicheres und menschenwürdiges Leben ist in den zerstörten Regionen bis auf Weiteres vollkommen ausgeschlossen. In den betroffenen Städten sind Straßenzüge, sogar ganze Stadtteile zerstört, die Menschen sind obdachlos und die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten ist kaum gewährleistet. Viele Rheinland-Pfälzer:innen bangen weiterhin tagtäglich um die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer in den Erdbebengebieten lebenden Verwandten. Unter diesen Umständen muss von Abschiebungen in die Türkei dringend abgesehen werden.

Erst am 09.02.2023, drei Tage nach der verheerenden Katastrophe durften die ersten Hilfskonvois einen Grenzübergang Richtung Syrien passieren. Weitere fünf Tage später, am 14.02.2023 wurden drei weitere Grenzübergänge eröffnet. Tagelang waren die Menschen im Nordwesten Syriens auf sich allein gestellt, versuchten verzweifelt, mit bloßen Händen Verschüttete aus den Trümmern zu befreien. „Die Welt hat uns vom ersten Tag an im Stich gelassen“ beklagt Mizyan Hassan, eine für die Weißhelme arbeitende syrische Krankenschwester, gegenüber der Reporterin vom Weltspiegel extra[1].

Setzen Sie sich mit Nachdruck dafür ein, dass alle Grenzübergänge zwischen der Türkei und Syrien geöffnet werden, damit eine umfangreiche Versorgung aller Menschen dort gesichert ist.

Unmittelbar nach der Katastrophe verkündete die Bundesregierung ihre Absicht, die Aufnahme von Verwandten aus dem Erdbebengebiet zu vereinfachen und versprach Visaerleichterungen.[2] Die nun veröffentlichten „Visaerleichterungen“ entsprechen zum größten Teil aber den üblichen Voraussetzungen für die Beantragung eines Visums wie z.B. Ausfüllen des Antragsformulars, Abgabe einer Verpflichtungserklärung durch die in Deutschland lebenden Verwandten, Vorlage von Personalausweisen bzw. Pässen, Nachweis der Krankenversicherung.  Ergänzt wurden sie um zusätzliche bürokratische Hürden wie dem Beibringen eines Wohnsitznachweises mit Historie (Historie muss den Wohnsitz im Erdbebengebiet zum Zeitpunkt der Katastrophe belegen), einer kurzen, schriftlichen Schilderung der Notlage oder bei Minderjährigen Unterschriften/notariell beglaubigte Zustimmungen beider Eltern bzw. Nachweis der Alleinsorge oder der vorübergehenden Personensorge. Lediglich die Tatsache, dass die Vorsprache bei den Botschaften ohne Termin erfolgen kann, stellt eine Erleichterung dar. Alles andere ist eine Mogelpackung.

Wer in den Trümmern seines Hauses alles verloren hat, verfügt schlicht und einfach nicht mehr über diese Unterlagen. Darüber hinaus ist es blanker Hohn, zu verlangen, dass der Wohnsitz mit Historie nachgewiesen werden muss oder dass Menschen, die durch die Erlebnisse der letzten Tage traumatisiert sind, „eine kurze, schriftliche Schilderung der Notlage“ verfassen müssen oder dass für minderjährige Kinder, die möglicherweise Waisen oder Halbwaisen geworden sind, die Frage der Personensorge geklärt werden soll.

► Damit Rheinland-Pfälzer:innen aus Ihrem Wahlkreis ihren Familienangehörigen ersten und zweiten Grades Zuflucht bieten können, setzen Sie sich mit Nachdruck dafür ein, dass 

  • Schengen-Visa von türkischen (und syrischen) Staatangehörigen aufgrund höherer Gewalt gem. § 6 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Artikel 33 EU-Visakodex unbürokratisch verlängert werden. Menschen, die sich momentan sicher in Deutschland aufhalten, dürfen nicht gezwungen werden, in die katastrophalen Bedingungen in den Erdbebengebieten zurückzukehren.[3]
  • Menschen aus den Katstrophengebieten zu ihren in Rheinland-Pfalz lebenden Familienangehörigen visumsfrei einreisen können.

Sollte sich auf Bundesebene keine Mehrheit für eine visumsfreie Einreise finden lassen, setzen Sie sich mit Nachdruck dafür ein, dass

  • es wirkliche Erleichterungen für Visaverfahren von in den Erdbebengebieten lebenden Menschen gibt. Von wirklichen Erleichterungen kann nur dann gesprochen werden, wenn Voraussetzungen herabgesetzt und auf formelle Nachweise verzichtet wird.
  • auch syrische Staatsangehörige umgehend in das vereinfachte Visumsverfahren einbezogen werden. Dabei muss zum einen sichergestellt werden, dass die Erteilung der Visa nicht – wie bisher bei syrischen Staatsangehörigen üblich – unter Verweis auf eine mangelnde Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht kategorisch abgelehnt wird. Zum anderen müssen auch syrische Staatsangehörige, die als Geflüchtete in den Erdbebengebieten in der Türkei leben, Zugang zu dem vereinfachten Visaverfahren erhalten. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass sie aufgrund des Rechtsrahmens und der Praxis in der Türkei oftmals nicht über einen regulären Aufenthaltsstatus bzw. die entsprechenden Nachweise sowie über syrische Passpapiere verfügen.

Wir appellieren an Ihr Verantwortungsbewusstsein, Ihr Mitgefühl und Ihre Menschlichkeit und bitten Sie, sich zeitnah bei den zuständigen Bundesministerien für die Umsetzung unserer Forderungen einzusetzen.


Unterzeichnende Organisationen:

Alevitisches Kulturzentrum Worms und Umgebung e.V.

civi kune RLP

Flüchtlingsrat RLP e.V.

Helferkreis Asyl Worms e.V.

Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP e.V.

Landesverband der Syrischen Akademiker e.V.

KURDEM e.V.


Kontakt für Rückfragen:
Flüchtlingsrat RLP e.V.

Pierrette Onangolo

Leibnizstr. 47, 55118 Mainz

06131 – 49 24 734

info@fluechtlingsrat-rlp.de


[1] Nachzuhören unter https://www.ardmediathek.de/video/weltspiegel/die-jahrtausendkatastrophe-oder-weltspiegel-extra/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3dlbHRzcGllZ2VsLzdiNWJmZGY0LTdmNzUtNDI0OS04MTg4LWE0NzFjMTcyZWRmMA

[2] nachzulesen unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/krisenpraevention/humanitaere-hilfe/erdbeben-tuerkei-syrien-faq/2581294#content_1)

[3] In Niedersachsen gibt es eine solche Anweisung bereits, wie sich aus einer Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 08. Februar 2023 ergibt.

Nachzulesen unter:

https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/internationales-hilfeersuchen-der-turkei-niedersachsen-stellt-winterfeste-zelte-zentralheizungen-feldbetten-und-weitere-hilfsguter-zur-verfugung-219492.html

21.02.2023: Offener Brief – an die rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten