Hände mit Aufschrift "volunteers needed"

Am 20. Juni 2023 nahmen wir als Team von civi kune RLP zum Anlass des Weltflüchtlingstags am Marche des Parapluies in Mainz teil. Dazu hatten wir auch eine Rede vorbereitet, die wir aber aus Zeitgründen nicht halten konnten. Wir haben uns überlegt, sie trotzdem zu veröffentlichen. Etwas umgeschrieben dient sie Euch Engagierten hoffentlich als Anerkennung Eures Engagements sowie als Motivation für die Zukunft.


Keine Diskriminierung! Menschenwürdige Behandlung! Das sind zwei der fünf Forderungen, mit denen wir beim Marche des Parapluies auf die Straße gegangen sind. Diejenigen, die sich in der Praxis für diese Forderungen einsetzen, sind oft Ehrenamtliche wie Ihr. Ihr seid Menschen, die in ihrer Freizeit dafür kämpfen, dass Schutzsuchende nicht diskriminiert werden; Menschen, die sich dafür einsetzen, dass Geflüchtete Respekt und Wertschätzung erfahren; Menschen, die dafür sorgen, dass Flüchtlinge in der rheinland-pfälzischen Gesellschaft teilhaben und mitwirken können. Dass sie eben nicht mehr nur als Flüchtling, Schützling, Neuankömmling, gar Eindringling wahrgenommen werden, sondern als das, was sie – was wir alle – in erster Linie sind: Menschen. Menschen mit Grundbedürfnissen, die befriedigt werden müssen, um das Leben eben menschenwürdig zu machen. Darauf hat jeder Mensch ein Recht.

Leider werden diese Rechte für Schutzsuchende auch in Rheinland-Pfalz nicht ausreichend umgesetzt, sodass sie auf das Engagement von Freiwilligen angewiesen sind. Ihr freiwillig Engagierte helft, sich im bürokratischen Chaos zurechtzufinden, Ihr helft beim Ausfüllen von Anträgen, begleitet bei Arztbesuchen und bei Terminen in der Ausländerbehörde, im Jobcenter und anderen Behörden. Ihr helft beim Deutsch lernen und organisiert Veranstaltungen, um wertvolle Begegnungen zu schaffen. Vor Kurzem berichtete uns die Geschäftsführerin eines neu gegründeten Vereins, was dabei ihr Leitbild ist: Sie möchte, dass Geflüchtete hier so aufgenommen werden und so behandelt werden, wie sie es sich für ihre Kinder wünschen würde, wenn diese in ein anderes Land gehen müssten. Dieses Leitbild fasst anschaulich zusammen, was eine menschenwürdige Behandlung beinhaltet. Daran sollten wir unser Reden und Handeln messen.

Weil Ihr Ehrenamtliche oft den engsten Kontakt zu den Betroffenen habt, seid Ihr oft vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Zum einen werdet Ihr wegen eures Einsatzes gegen Diskriminierung und für die gleichberechtigte Teilhabe von Geflüchteten selbst zur Zielscheibe rechter Übergriffe. Zum anderen seid Ihr auch diejenigen, die von der meist prekären Lage, in der sich Schutzsuchende befinden, am meisten mitbekommt. Auch deshalb kommt euch eine wichtige Rolle zu. Denn Ihr könnt die Missstände konkret benennen und für bessere Rahmenbedingungen und Strukturen einstehen. Damit leistet Ihr einen zentralen Beitrag, um Diskriminierung und menschenunwürdige Behandlung aufzudecken.

Leider ist weltweit zu beobachten, dass zivilgesellschaftlich Engagierte immer mehr systematisch davon abgehalten werden, als Zeug:innen zu agieren, indem ihnen der Zugang zu den Geflüchteten verwehrt wird. So wurde 2021 z.B. das Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen als Sperrgebiet erklärt, sodass nicht dokumentiert werden konnte, wie viele Menschen in der Grenzregion starben. 2022 wurde bekannt, dass die lettische Regierung Geflüchtete in streng bewachten Zelten in abgelegenen Waldstücken untergebracht hatte, die kein:e Helfer:in je betreten durfte. Aber auch in Deutschland wird der Zugang zu Flüchtlingsunterkünften regelmäßig verwehrt. Die vorgeschobenen Gründe sind vielfältig: Infektionsgefahr durch Corona, Flüchtlingsunterkünfte, die auf einem vermeintlichen Betriebsgelände stehen, gegenüber Ehrenamtlichen ausgesprochene Hausverbote oder andere fadenscheinige Gründe, die es unmöglich machen, als Ehrenamtliche die Unterkünfte zu besuchen. Die Pläne der EU im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem werden absehbar dazu führen, dass Internierungslager, wie sie auf griechischen Inseln teilweise schon Realität sind, legalisiert und ausgeweitet werden. Aber wer kann den Betroffenen helfen? Wer kann von Missständen berichten? Wer kann Menschenrechtsverletzungen anprangern, wenn niemand Zugang zu diesen Orten hat?

Hier vor Ort können wir uns vor allem dafür einsetzen, dass die Menschen, die hier ankommen, gute Rahmenbedingungen vorfinden, um ihre schrecklichen Erlebnisse vor und während der Flucht bestmöglich zu verarbeiten. Dabei hilft es, sich willkommen und angenommen zu fühlen und auf Hilfsangebote von freiwillig Engagierten zurückgreifen zu können. Doch oft reicht das nicht aus. Denn gerade bei erlebten Traumata und psychischen Erkrankungen brauchen die Betroffenen professionelle Hilfe. Hilfe, die kein Laie leisten kann, egal wie engagiert er/sie ist. Doch leider ist die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland unzureichend. Der Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen kann nicht ausreichend gedeckt werden. Nicht nur bei diesem Thema erlebt Ihr Engagierte, dass die Unterstützung, die Ihr anbieten könnt, nicht ausreicht.

Die Grenzen des ehrenamtlichen Engagements sind immer wieder Thema bei unseren Gesprächen mit freiwillig Engagierten. Dabei kommt ein Thema immer zur Sprache. Und auch die Studie über Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit in RLP von 2019 kommt zu dem Schluss: Die größte Belastung ist die Bürokratie! Bürokratie! Bürokratie! Es ist schon schwer genug, sich in einem neuen Umfeld zurecht zu finden, eine neue Sprache zu lernen, die neuen Strukturen und gesellschaftlichen Normen zu verstehen. Die meisten Geflüchteten bemühen sich sehr, alle sogenannten Integrationsleistungen zu vollbringen, die von ihnen verlangt werden: erstmal Deutsch lernen, dann Schule oder Ausbildung oder Studium, auf jeden Fall eine Arbeit finden, dem deutschen Staat nicht auf der Tasche liegen. Viel zu viele müssen jedoch feststellen, dass es nicht in ihrer Hand liegt, ob sie ihre Ziele erreichen können, ob sich ihre Anstrengungen auszahlen. Denn wie sie ihr Leben gestalten können, ist vor allem abhängig von Fristen und Papieren. Von bürokratischen Vorgaben und Entscheidungen, die den Menschen nicht als Mensch sehen, sondern als Akten und Ordner, die es zu bearbeiten gilt. Eine ungünstige Entscheidung einer bestimmten Behörde hat weitreichende Folgen für das Leben der Betroffenen: Menschen bekommen keine Aufenthaltserlaubnis, keine Arbeitserlaubnis, keine Grundsicherung, ihre Abschlüsse aus dem Heimatland werden nicht anerkannt… Das führt zu einer enormen Frustration bei den Betroffenen selbst und auch bei denen, die ihnen helfen wollen und doch nichts ändern können. Doch was wir tun können, sind diese Missstände regelmäßig anzuprangern und Entscheidungsträger:innen dazu zu drängen, das System zu überdenken und zu verändern. Die betroffenen Menschen müssen wieder als Menschen in ihrer Lebensrealität gesehen werden. Nur so können ihre Potentiale voll ausgeschöpft werden und sie können wieder selbstständig ihr Leben gestalten.

Keine Diskriminierung! Und menschenwürdige Behandlung! Zahlreiche Menschen wie Ihr setzen sich dafür ein, dass diese Forderungen besonders für Schutzsuchende Realität werden. Ihr helft gerne, kommt jedoch oft an eure Grenzen. Wir fordern, dass Menschen, die sich solidarisch mit Schutzsuchenden zeigen, in ihrem Engagement unterstützt werden. Wir fordern, dass die professionelle Versorgung für Schutzsuchende ausgebaut wird. Dazu gehören psychotherapeutische Angebote, aber auch Rechtsberatung und Beschwerdestellen. Wir fordern den Abbau bürokratischer Hindernisse, die Schutzsuchende daran hindern, hier anzukommen!

07.07.2023: Marche des Parapluies – ein Nachtrag für freiwillig Engagierte